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Quelle: Dieser Artikel stammt ursprünglich aus einer Zusammenfassung von Neil Coles Buch „Journeys to significance – charting a leadership course from the life of Paul“ (San Francisco: Jossey-Bass 2011). Wolfgang Klöckner hat den Artikel übersetzt und in der April 2015 Ausgabe von „Brennpunkt“ veröffentlicht.
Das Bild, zeigt das Gefängnis in dem Paulus in Rom gefangen gehalten wurde.

Die dritte Missionsreise (Apg 18,23 – 21,16):

Ephesus und ganz Asien
Nachdem Paulus längere Zeit in Jerusalem und Antiochia verbracht hat, zieht er geradewegs nach Ephesus (Apg 18,23; 19,1). Unterwegs besucht er wieder die Gemeinden in Galatien und Phrygien. Nachdem auf der vorausgehenden Reise „vom Heiligen Geist verhindert worden war“ (Apg 16,6) in der Provinz Asien und Ephesus zu arbeiten, ist der Weg nun frei. Hat Gott vielleicht die Tür geöffnet, weil der Apostel seine Lektion gelernt hat und bereit ist für den Dienst in dieser strategisch wichtigen Metropolregion der damaligen Zeit?
Wie Paulus in Ephesus vorgeht (19,1-10)
Paulus begann seine missionarische Arbeit in der Stadt an vorbereiteten bzw. interessierten Menschen (Apg 18,19-20; 19,1-8): Juden in der Synagoge und Jünger von Johannes dem Täufer. So ist er immer wieder vorgegangen, doch hier gewinnen wir den Eindruck von großer Freiheit, Gelassenheit und Vollmacht – und keinerlei Eile. Darauf weisen die Zeitangabenhin: Drei Monate (Apg 19,8), zwei Jahre (Apg 19,10) und „eine Zeit lang“ (Apg 19,22).
Nachdem er die Synagoge verlassen musste, unterwies und trainierte er die Jünger täglich in der Schule des Tyrannus (einem neutralen Raum). „Dies aber geschah zwei Jahre lang, sodass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten.“ (Apg 19,10)
Es wird eine ganze Region mit dem Evangelium erreicht und Gemeinden entstehen, obwohl Paulus selbst die ganze Zeit in Ephesus blieb. Die umliegenden Gemeinden kannten ihn nicht einmal persönlich (Kol 2,1). Wie konnte ein einzelner Mann das in 2-3 Jahren tun? Offensichtlich gelang es Paulus, Arbeiter und Leiter sozusagen „aus der Ernte für die Ernte“ zu gewinnen und auszubilden. Sie waren es, die in die ganze Provinz gingen und schließlich Gemeinden in Städten wie Kolossä, Laodizea oder Hierapolis gründeten. So legte er die Grundlage für eine multiplikative Bewegung.
Diese Gemeinden in Asien waren nie abhängig von Paulus; er hatte sie schließlich nicht gegründet! Und daher war auch keine persönliche „Nachsorge“ nötig (wie z. B. in Galatien). Paulus besuchte diese Gemeinden nie; vielmehr schrieb er Briefe und gab letzte Anweisungen an die Leiter (Älteste), die er ausgebildet hatte, so weiterzuarbeiten, wie sie es an ihm gesehen hatten bzw. trainiert worden waren! (Apg 20,17-38)
Einer dieser Männer war Epaphras (Kol 1,3-8; 4,12-13), der mindestens die Gemeinde in Kolossä gegründet hatte. Weitere Namen, die genannt werden: Philemon, Trophimus, Tychikus, Archippus, Nympha, Apphia, Artemas und Onesiphorus. Aus den Berichten der Apostelgeschichte lassen sich einige Kennzeichen dieses multiplikativen Dienstes in Ephesus entnehmen:
  • Eine regionale Basis für die Ausbildung von Leitern, um Jünger zu machen und Gemeinden zu gründen (Apg 19,9; 20,18). Es geht nicht nur um die Gründung einer lokalen Gemeinde, sondern um ein gemeindebasiertes Training für Weltmission!
  • Eine Strategie des Lehrens und des Mentoring durch Lebensvorbild – in großen Treffen wie auch Kleingruppen (Apg 20,19-20). Dies geschieht mitten im normalen (Gemeinde-)Leben und ist keine akademische Veranstaltung, sondern leicht reproduzierbar.
  • Evangelisation steht in enger Verbindung mit der geistlichen Entwicklung der Jünger, und zwar als Grundlage für das Training der Leiter (Apg 20,21).
  • Die Bedeutung des Wortes Gottes im Leben der Menschen wird betont (Apg 20,20. 32).
  • Der Heilige Geist hat seinen rechtmäßigen Platz, um die Jünger in den Dienst zu führen (Apg 20,28).
  • Der Geist steht hinter einer Bewegung ohne menschliche Kontrolle und führt die Einzelnen zur Mündigkeit und Reife.
  • Mentoring und Coaching einzelner Leiter geschehen auf persönlicher Einszueins-Basis (Apg 20,31). Leiterschulung muss individuell sein, da jeder unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt und sich unterschiedlich entwickelt. Kurse und Lehrpläne können das kaum leisten.
  • Leiter werden in die Verantwortung vor Gott entlassen für den Dienst, auf den sie vorbereitet wurden. So werden sie unabhängig vom Mentor oder Trainer (Apg 20,32) Fotokopien von Fotokopien werden immer schlechter – daher sollte man immer vom Original kopieren! So dürfen Jünger nicht uns nachfolgen, sondern allein Jesus als ihrem Herrn. Wir dürfen sie nicht an uns binden, sondern allein an ihn. Ansonsten entstehen ungesunde Abhängigkeiten und sie werden mit jeder Generation schwächer!
Lektionen aus der dritten Reise
  • Viele Leiter erreichen die „dritte Reise“ (ihre dritte Dienstphase) nicht, da sie in früheren Phasen steckenbleiben und wesentliche Lektionen nicht lernen bzw. Entwicklungs- und Gehorsamsschritte nicht gehen. Vielleicht, weil sie sich für unentbehrlich halten? Oder weil sie die oben angesprochenen Konflikte scheuen und Schwierigkeiten aus dem Weg gehen?
  • Gott vertraut bewährten Leitern auf der dritten Reise mehr angehende Leiter mit großem Potenzial an, da diese wertgeschätzt werden und herausfordernde Möglichkeiten zum Dienst bekommen. Der Leiter muss Begabungen neben sich nicht aus egoistischen Motiven kleinhalten!
  • Leiter auf der dritten Reise haben einen wachsenden Einfluss, da andere ihr Anliegen (Evangelisation, Jünger machen und Gemeindegründung) viel weiter tragen können, als sie selber es könnten.
  • Obwohl ein Leiter auf der dritten Reise scheinbar weniger tut, arbeitet er gezielter und erreicht so letztlich mehr durch die Ausbildung und Multiplikation neuer Leiter.

Die vierte Missionsreise (Apg 21-28):

Als Gefangener von Jerusalem nach Rom
Gewöhnlich wird die Gefangenschaft des Apostels Paulus nicht als eine weitere Missionsreise angesehen, doch Paulus selber sah dies offenbar anders: „Ich bin froh, euch mitteilen zu können, Geschwister, dass das, was mit mir geschehen ist, die Ausbreitung des Evangeliums sogar noch gefördert hat.“ (Phil 1,12-14, NGÜ) Unter Hausarrest in Rom erreichte er die gesamte heidnische Welt! (2Tim 4,16-17) Diese Reise war keine Katastrophe für den reisenden Apostel, der seiner Bewegungsfreiheit beraubt wurde. Gottes Pläne wurden nicht durchkreuzt, sondern sie war vielmehr SEIN Plan für Paulus´ letzte Dienstphase, in der sich sein Einfluss bis zum heutigen Tag ausdehnte.
Was kennzeichnete Paulus´ Dienst in bzw. aus der Gefangenschaft?
  • Seine Berufung auf den Kaiser brachte Paulus und damit das Evangelium vor viele. Er bekam die Möglichkeit, vor einigen der größten Machthaber jener Zeit zu reden: Felix, der Statthalter von Judäa, sein Nachfolger Festus, König Agrippa und seine Frau Bernice (Apg 24-25) und schließlich Kaiser Nero selbst (Apg 25,11-12; 27,24; 2Tim 4,17). Unterwegs hörte ihn die Schiffsbesatzung und nach einem Schiffbruch gründetet er dazu noch eine Gemeinde auf der Insel Melite (wahrscheinlich Malta).
  • Sein Ruf ging ihm voraus, sodass man ihn bei seiner Ankunft in Rom begrüßte und viele ihn in seiner Mietwohnung besuchten, wo er Redefreiheit genoss (Apg 28,14-31). Paulus konnte zwar nicht mehr „hingehen in alle Welt“ (Mt 28,19), doch er hatte in seiner Gefangenschaft offenbar mehr evangelistische Möglichkeiten als die meisten von uns in Freiheit. Er schreibt dazu: „Betet auch für mich, dass Gott mir das rechte Wort schenkt, … – als Gesandter des Evangeliums bin ich ja im Gefängnis -, damit ich so freimütig davon rede, wie ich reden soll.“ (Eph 6,19-20)
  • Seine Gefangenschaft ermutigte viele, die in Freiheit waren, seine Arbeit fortzuführen : „Und die meisten der Brüder hier haben durch meine Gefangenschaft Mut gefasst und wagen es, das Wort Gottes ohne Furcht weiterzusagen.“ (Phil 1,14-18) Er schreibt auch davon, dass einige dies auch aus zweifelhaften Motiven tun. Dennoch drückt er seine Freude darüber aus, da es ja um Christus geht. Hervorragende Leiter, Evangelisten, Prediger oder Missionare können durchaus auch im Weg stehen. Fallen sie aus, stehen andere auf!
  • Seine Gefangenschaft verschaffte ihm Zeit und Gelegenheit, einige Briefe zu schreiben. Er schreibt, dass er selber zwar gefangen ist, Gottes Wort jedoch nicht in Fesseln gelegt werden kann (2Tim 2,8-10) – durch seine Briefe wurde es vielmehr freigesetzt! Die Briefe an die Epheser, Kolosser, Philipper und an Philemon („Gefangenschaftsbriefe“ genannt) entstehen in dieser Zeit; später dann (evtl. in einer zweiten Gefangenschaft) die sog. Pastoralbriefe. Möglicherweise nutzte Lukas die Zeit, in der er bei Paulus in Rom war, um sein Evangelium und die Apostelgeschichte abzufassen. Durch diese Schriften wirkt der Einfluss des Paulus bis zum heutigen Tag nach und vervielfältigt sich.
  • Er hatte Zugang zu Verlorenen, die die Gemeinde sonst nie erreicht hätte. „Bei der ganzen kaiserlichen Garde und weit darüber hinaus hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass meine Gefangenschaft eine Gefangenschaft wegen Christus ist.“ (Phil 1,13-14) Paulus war Tag und Nacht an einen Soldaten gekettet (Apg 28,16), der zur kaiserliche Garde gehörte, die auch die kaiserliche Familie am Hof bewachte. Ohne Zweifel hörten diese Männer das Evangelium von Jesus und auch das Lebenszeugnis des Paulus wird nicht ohne Wirkung geblieben sein. Durch Schichtwechsel kamen immer wieder andere Soldaten, die, wie es scheint, auch am Hof von Paulus und seiner Botschaft erzählten. So ist wohl zu erklären, was er den Philippern schreibt: „Auch alle anderen Gläubigen hier lassen euch grüßen; besonders die, die im kaiserlichen Dienst sind.“ (Phil 4,22)
  • Ständig war Paulus dabei, jungen Leitern ein Mentor zu sein und sie hinauszuschicken, damit sie den Dienst multiplizieren – er blieb nie mit Absicht allein! Offensichtlich hatte Paulus seinen Lebensstil und seine Dienstphilosophie, sein Leben in andere zu investieren, um Jünger zu machen und Leiter hervorzubringen (vgl. Apg 20,18-38) auch in seiner Gefangenschaft nicht aufgegeben, sondern eher noch intensiviert. Einige Beispiele: Onesimus und Tychikus schickt er mit Briefen nach Asien (Kol 4,10-12). Timotheus und Epaphroditus bringen einen Brief nach Philippi (Phil 2,19-30). Andere waren abwechselnd bzw. ständig bei ihm: Lukas, Markus, Demas, Aristarchus, Jesus Justus, Epaphras. Selbst am Ende seines Lebens in der Todeszelle ist er nicht allein (2 Tim 4,11).
Lektionen aus der vierten Reise
Die meisten Leiter erreichen die vierte Reise bzw. Dienstphase nicht; sie bleiben in einer früheren Phase stecken. Ein Leiter auf seiner vierten Reise kümmert sich weniger als früher um seine Versorgung. Er hat das Geheimnis von Zufriedenheit und Vertrauen gelernt (Phil 4,10-14). Ein Leiter auf der vierten Reise hat oftmals einen zunehmend guten Ruf auch bei säkularen Leitern. Der Einfluss eines solchen Leiters dehnt sich wesentlich stärker aus, als man erwarten könnte oder die Umstände es erlauben. Leiter in dieser Phase haben oftmals einen zunehmenden schriftlichen Einfluss, sodass unzählige Andere von ihrer Erfahrung und Reife profitieren. Bücher, die in dieser Phase entstehen, haben meist Bestand. Auch ein Leiter auf der vierten Reise ist noch Prüfungen seines Charakters ausgesetzt.

Praktisch:

Nimm dir einen Moment um Jesus folgende Fragen zu stellen:
Hören: Was möchtest du mir durch das Gelesene sagen?
Tun: Was möchtest du, dass ich tue?
Teilen: Gibt es etwas, dass ich mit jemanden teilen kann?