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Dieser Artikel stammt von Victor Sudermann und Christian Puschendorf und erschien unter dem Titel „Der Prototyp – einfache Gemeinde vor Ort und in der Region“ in der Brennpunkt“-Ausgabe der DIM – von Januar 2015.
Fokus auf das Reich Gottes
In Mt 16,18 macht Jesus selbst eine Aussage, die seine Jünger damals sehr verwundert hat: „Ich will meine Gemeinde bauen“. Mit dieser Aussage konnten die Jünger wenig anfangen. Ihre Vorstellung war, dass Jesus, der Messias, auf dieser Welt anfängt sein Reich zu errichten und die Römer aus Israel zu vertreiben.
Die Jünger dachten ausschließlich an ihr Volk. Ein außer-nationaler Auftrag war ihnen nicht bewusst. Hier und da konvertierte jemand zum Judentum, aber es gab keine besonderen Anstrengungen dafür. Das eigene Volk stand im Vordergrund!
Ähnlich leben und denken heute viele Christen in Gemeinden. Der Erhalt ihres „Reiches“ – ihrer Gemeinde – steht an erster Stelle. Sie denken an ihre eigene Gemeinde und versuchen, Parallel-Strukturen zu der sie umgebenden Gesellschaft aufzubauen, um Menschen für Jesus zu gewinnen. Eigene Räumlichkeiten, eigenes Kinder- und Jugendprogramm, eigene Musikveranstaltungen, eigene Sportveranstaltungen, eigene Feste und vieles mehr.
Es geht darum, die eigene Gemeinde voranzubringen und sie zahlenmäßig zu vergrößern. Für außer-gemeindliche Aktivitäten fehlen schlicht Zeit, Kraft, Geld und Personal, weil man mit dem Eigenen so beschäftigt ist! Die gesamte Struktur ist auf das Kommen zur Gemeinde ausgerichtet anstatt auf das Hingehen!
Jesus dagegen ist hingegangen. Er kam in die Welt, um das Reich Gottes zu bauen. Und dabei handelt es sich nicht um ein zurückgezogenes statisches Reich, sondern um ein sich ausbreitendes Reich voller Dynamik und voller Leben. Um ein geistgeleitetes Reich, um einen Körper mit einem göttlichen Haupt.
Die erste Gemeinde dient uns deshalb als Vorbild, auch wenn die Situation natürlich eine ganz andere war. Der Heilige Geist zeigt den Jüngern, wie Gemeinde aussehen soll. Sie ist der Prototyp. Der „erste“ Typ. Wir können viel von der Gemeinde in Jerusalem lernen – auch von ihren Fehlern.
„Gemeinde ist kein Gebäude, kein Termin, sondern ein Haufen geistgeleiteter Menschen, die Jesus mit Haut und Haaren nachfolgen.“
Was ist Gemeinde im Kern überhaupt?
Gemeinde ist kein Gebäude, kein Termin, sondern ein Haufen geistgeleiteter Menschen, die Jesus mit Haut und Haaren nachfolgen. Jesus gab seinen Jüngern – und damit auch uns – den Auftrag Gott zu lieben, den Nächsten zu lieben und andere zu Jüngern zu machen. Mehr dazu hier.
Gemeinde bzw. Gemeinschaft ist der Ort und der Rahmen, in dem der Auftrag Jesu an uns zusammen bzw. in Ergänzung gelebt wird.
Zwei Seiten einer Medaille: Gemeinschaft vor Ort und in regionaler Vernetzung
Die ersten Christen (Apg 2,42-47) trafen sich an zwei Orten, in ihren Häusern und im Tempel (V. 46). Im Tempel kamen alle täglich (erst 3.000, dann 5.000) zusammen, es ging um das gemeinsame Vernetzen, um das voneinander Wissen und um die gemeinsame Verbundenheit in Jesus Christus. Dem Volk wurde demonstriert: „Wir gehören zusammen!“ In den Häusern spielten die einzelnen Gemeinschaften eine starke Rolle: Dort wurde das Leben miteinander geteilt.
Wir können von ersten Christen lernen und ihre Strukturen auch heute nutzen. Ihr Schwerpunkt lag auf dem geistlichen Leben, nicht auf einer Organisation. Ihnen ging es darum, das wichtigste Gebot einzuhalten: „Gott lieben“ und „den Nächsten lieben“. Die Liebe untereinander in Einheit und Gemeinschaft leben. Deshalb nutzten sie Strukturen, die vorhanden waren – ihre Häuser und den Tempel, um sich zu treffen. Sie investierten ihr Geld und ihre Zeit nicht in den Bau oder die Miete von Kirchengebäuden. Sie gaben ihr Geld denen aus der Gemeinschaft, die es nötig hatten und nahmen sich Zeit, um Gemeinschaft miteinander zu haben.
Ein Beispiel ist Paulus in Apg 19,8-9. Dort bedient er sich der Dinge, die vorhanden waren, z. B. der Synagoge von Ephesus oder den Lehrsaal des Tyrannus. Wer eine Parallelstruktur zur eigentlichen Gesellschaft aufbaut, schafft Hürden, die dem Evangelium im Weg stehen.
Die Häuser – Gemeinschaft vor Ort
Jeder Mensch lebt in Beziehungen und Gruppen, die sich irgendwo räumlich treffen. In der Apostelgeschichte entdecken wir, dass die Häuser eine zentrale Rolle gespielt haben. Hier wurden Beziehungen familiär oder freundschaftlich gelebt.
In der heutigen Zeit gibt es unterschiedliche Orte, an denen Menschen ihre Beziehungen leben: Häuser, Cafés, Fitnesscenter, Arbeitsplätze, Vereinsheime usw. Diese natürlichen Orte werden zu den Orten, an denen Gemeinschaft gelebt werden soll. Dort, wo in der Bibel gelesen wird, wo Gott angebetet wird, wo das Abendmahl gefeiert wird, wo zusammen gebetet, gegessen und einander ermutigt wird.
Glaube bzw. Jesus-Nachfolge findet dort statt, wo man lebt. In den Häusern oder am Arbeitsplatz. Das Haus ist keine Notsituation, weil man kein Gemeindegebäude hat, sondern der ausgewählte Ort, wo Gemeinschaft stattfinden soll. Eine Gemeinschaft, in der Nächstenliebe und Einheit gelebt werden. Ohne großen organisatorischen Aufwand, sondern auf ganz natürlicher Basis.
Ein schönes Beispiel sind Priszilla und Aquila. Sie hatten – egal wo sie waren – Gemeinschaften im Haus: Apg 18, 1Kor 16,19, Röm 16,3
Die Region – Im Netzwerk verbunden
Zu Beginn fand die Vernetzung der Christen überwiegend im Tempel statt. Hier trafen sie sich einmütig (Apg 4,32-37), legten Zeugnis ab, teilten Besitz, unterstützten die Armen und demonstrierten die Verbundenheit miteinander.
Da es ja nur in Jerusalem den Tempel gab, entstanden an anderen Orten Netzwerke, die aus den einzelnen Gemeinschaften in den Häusern zusammengesetzt waren.
Das Netzwerk sorgte dafür, dass der Fokus nach außen in den einzelnen Gemeinschaften gefördert wurde. Außerdem fand auf dieser Ebene gegenseitiges Helfen statt.
So wurde für die Gemeinde in Jerusalem gesammelt (Apg 11,27- 30). Man wusste voneinander und betete füreinander. Man ermutigte sich gegenseitig durch Berichte, Besuche und Briefe (Kol 4,11-17). Man hatte gemeinsame Projekte (Röm 15,26-28) und vernetzte sich innerhalb der Städte (Röm 16,1-16).
Die eigentliche Multiplikation findet also fast immer in der Region statt, nicht unbedingt in der Ortsgemeinschaft. Menschen zu Jüngern zu machen, erfordert mehr neue Gruppen, die in ihrer sozialen Schicht und Kultur bleiben und leben und dort ihren Versammlungsort haben, an dem sie ganz praktisch Liebe leben. Das verhindert Streitigkeiten und Unstimmigkeiten, die oft im persönlichen Hintergrund (Kultur, Szenen) begründet sind.
„Die Christen trafen sich grundsätzlich in ihren Häusern, sie lebten Gemeinschaft am und für den Ort und vernetzten sich in und für eine Region, um den Auftrag Jesu gemeinsam zu leben.“
Ein regelmäßiges Treffen aller Gemeinschaften einer Region ist wichtig, um auf die gemeinsame Vision ausgerichtet zu bleiben. Im Netzwerk plant man gemeinsame Projekte für die Region, man betet für- und weiß voneinander, man wird durch das ermutigt, was andere erlebt haben, und kann sich gegenseitig unterstützen.
Beispiele für Gemeindenetzwerke sind das Gemeindenetzwerk in Thessalonich (1Thes 1, 2Thes 1), das Gemeindenetzwerk in Philippi (Phil 1), das Gemeindenetzwerk in Kolossä/ Laodizäa (Kol 1,1-14; 4,15-16) und das Gemeindenetzwerk in Derbe/Laodizäa/Ikonion/Antiochia (Apg 14,21-22).
Die Christen trafen sich grundsätzlich in ihren Häusern, sie lebten Gemeinschaft am und für den Ort und vernetzten sich in und für eine Region, um den Auftrag Jesu gemeinsam zu leben.
Gemeinschaftspraxis: Was taten die ersten Christen?
Man kann viel über Strukturen sprechen und diskutieren, aber letztlich bleibt nur das über, was wirklich gelebt und getan wird. Deshalb an dieser Stelle ein Überblick über die Grundelemente christlicher Zusammenkünfte, bei denen immer Jesus im Mittelpunkt steht.
Viele dieser Elemente tauchen in Apg 2,42-47 auf. Andere Elemente finden wir an anderen Stellen der Bibel. Eine Auflistung befindet sich in der Tabelle unten.
Diese Elemente wurden von den ersten Christen in ihren Versammlungen gelebt. Und wir tun gut daran, diese Grundelemente auch in unseren Gemeinden bzw. Gemeinschaften als Leitfaden zu nutzen. Gleichzeitig können wir unsere Treffen anhand dieser Grundelemente überprüfen:
Welche Bereiche werden in unseren Gemeinschaften noch nicht gelebt? Was müssen wir ändern bzw. anpassen?
Das Resultat aller Elemente (und aller ausgeübten Gaben) ist Ermutigung und Einheit (1Kor 14,3; Röm 12,4-5). Und wer genau hinschaut, entdeckt schnell, dass wir die Elemente nur in Gemeinschaft und Ergänzung leben können.

Fazit

Die Häuser als Versammlungsort (max. 30-50 Personen) waren keine Notlösung, sondern der ideale Rahmen, um Familie Gottes zu sein und in entsprechender Gemeinschaft miteinander zu leben. Sie bildeten die Mitte des Gemeindelebens.
Hier wird Gottes Wort vorgelesen und darüber gesprochen. Hier wird gemeinsam gegessen und Gemeinschaft gelebt. Hier wird durch das Abendmahl eine besondere Gemeinschaft der Erinnerung gelebt und Jesu Tod verkündet. Hier werden durch Jesus ethnische, soziale und geschlechtliche Schranken in Christus aufgehoben.
„Gottesdienst“ ist nicht nur ein gemeinsames Treffen, sondern ist gelebter Alltag. Es wird gebetet, gefastet und einander geholfen. Menschen werden zu einer Gottesdienstpraxis geführt, die nur eines im Zentrum hat: JESUS CHRISTUS.