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Dieser Artikel stammt ursprünglich aus einer Zusammenfassung von Neil Coles Buch „Journeys to significance – charting a leadership course from the life of Paul“ (San Francisco: Jossey-Bass 2011). Wolfgang Klöckner hat den Artikel übersetzt und in der April 2015 Ausgabe von „Brennpunkt“ veröffentlicht.
Wodurch zeichnet sich ein guter Leiter im Reich Gottes aus? Offenbar nicht durch die Menge seiner Nachfolger, sondern dadurch, dass er neue Leiter hervorbringt und befähigt. Dies erkennen wir bei Jesus selber, aber auch bei Paulus. Zusätzlich bietet uns Paulus ein Beispiel eines Leiters, der nicht nur einfach die Ziellinie erreicht, sondern seinen Dienst stärker beendet, als er ihn begonnen hat. Beim Studium der Apostelgeschichte (und auch der Paulusbriefe) werden meist wesentliche Unterschiede in den verschiedenen sogenannten Missionsreisen des Apostels kaum gewürdigt, noch weniger eine Entwicklung. Paulus wird vorwiegend als Lehrer gesehen, weniger als Schüler in Gottes Schule. In diesem Artikel möchte ich zeigen, dass sein Dienst sich entwickelt, indem er entscheidende Lektionen lernt und sich mehr und mehr auf Mentoring, Coaching, Multiplikation und Leiterentwicklung konzentriert. 2Tim 2,2 tritt immer somit immer stärker als großes Thema seines Lebens in den Vordergrund: „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Menschen an, die tüchtig sein werden, auch andere zu lehren!“

Die erste Missionsreise (Apg 13,1 – 14,28):

Südosten Kleinasiens/Galatien
Wir beobachten Barnabas und Paulus hier auf einer ca. 2.400 km langen Missionsreise durch Zypern und Kleinasien als ein Team reisender Evangelisten. Ihre Arbeit erweist sich als sehr fruchtbar: An fünf Orten (Zypern / Antiochia / Ikonion / Lystra / Derbe) ist von Jüngern und Gläubigen die Rede und es werden Gemeinden gegründet. Paulus macht hier die Erfahrungen in der Gemeindegründung, die er später anderen weitergibt. Es mangelte offenbar an der Leitung in diesen Gemeinden (möglicherweise aufgrund seines raschen Vorgehens), denn die Apostel kehren zurück, um Älteste einzusetzen. Könnte es jedoch sein, dass dieses Defizit nicht grundlegend behoben wurde, da Paulus diese Gemeinden später noch viermal besucht (Apg 14,21-23; 15,36; 16,1-5; 18,23)? Außerdem fallen sie judaistischen Irrlehrern zum Opfer, die sie in ungesunder Weise beherrschen und zur Gesetzlichkeit verführen (Gal 1,6ff). Paulus antwortet darauf mit dem Galaterbrief – von all seinen Briefen der mit dem schärfsten Ton.

Lektionen aus der ersten Reise

Ein Leiter auf der ersten Reise (d.h. ein Missionar oder Gemeindegründer in seiner ersten Dienstphase) versucht oftmals, alles selber zu machen – mit dem Ergebnis, dass er Gefahr läuft, Gemeinden mit schwacher Leitung zurückzulassen. Wenn er als Gemeindegründer dann (zu rasch) weiterzieht, bleibt oftmals ein Vakuum, das leicht von beherrschenden Leitern gefüllt werden kann. Vergleichbare, schmerzliche Erfahrungen haben wir als DIM in verschiedenen Gründungen gemacht. Ein Leiter auf der ersten Reise scheint es eher eilig zu haben, weiterzuziehen. Er hat ein starkes Bewusstsein der Dringlichkeit des Missionsauftrages. Das ist zunächst sehr positiv, doch die Schattenseite davon zeigt sich darin, dass Jüngerschaft vernachlässigt wird; die Begleitung junger Gläubiger und angehender Leiter im Sinne von Mentoring und Coaching finden kaum statt, da die Notwendigkeit dazu nicht gesehen wird. Zu Beginn dieser ersten Reise wird zuerst Barnabas genannt (Apg 13,2. 7), dann Saulus (bzw. später Paulus); im weiteren Verlauf ist immer zuerst von Paulus die Rede (Apg 13,13) Wir sehen, wie der Lehrling aus dem Schatten seines Mentors oder Meisters tritt. Auf der ersten Reise lernt der Leiter das grundlegende Knowhow für seinen Dienst, das er später anderen weitergibt. Somit kann die erste Reise nicht übersprungen werden!

Die zweite Missionsreise (Apg 15,36 – 18,22):

Mazedonien und Achaia
Wie die erste Missionsreise beginnt auch die zweite in Antiochia. Die Strategie der ersten Reise hatte sich ja bewährt und so wollten Paulus und Barnabas als bewährtes Team wieder los (Apg 15,36). Doch sie werden aus den gewohnten Bahnen geworfen: Ein ernsthafter Konflikt über die Frage der erneuten Mitarbeit von Johannes Markus führt zur Trennung (Apg 15,37- 39). War dies menschliches Versagen oder (mindestens z. T.) Gottes souveräne Führung? Die Frage soll hier offenbleiben – das Ergebnis sind jedenfalls zwei Missionsteams statt eines. Nach einer fruchtbaren Nacharbeit in den bestehenden Gemeinden (Apg 15,41; 16,4-5) möchte Paulus mit Silas offenbar so evangelisieren wie auf der ersten Reise, doch Gott hat andere Pläne (Apg 16,6-10) – insbesondere für die Metropole Ephesus und die Provinz Asien.
Zweimal erleben sie, wie Gottes Geist ihre Pläne direkt durchkreuzt und sie anders führt. Es scheint, dass Paulus aus den Leitungsproblemen der ersten Reise gelernt hat: Er sieht die Arbeit und rekrutiert weitere Leiter, die ihn begleiten. Silas (Apg 15,40) ist von Anfang an dabei, in Lystra nimmt er Timotheus dazu (Apg 16,1-3) und in Troas schließlich Lukas (Apg 16,10-11). Paulus lässt im weiteren Verlauf der Reise einen nach dem anderen in den neu gegründeten Gemeinden zurück, um das Leitungsvakuum zu füllen: Lukas bleibt in Philippi (Apg 16,16: letzte „wir“-Stelle), Silas und Timotheus in Beröa (Apg 17,14) und Timotheus später in Thessalonich (1Thes 3). Die Leiter gehen ihm sozusagen nach und nach aus und vielleicht beginnt er zu erkennen, dass er nie in der Lage sein wird, genügend Mitarbeiter für ein Team zu gewinnen, um Leiter in jeder neugegründeten Gemeinde zurückzulassen. So kommt Paulus schließlich alleine in zwei geistlich besonders finstere Städte des Römischen Reiches: Athen (Apg 17,16), von heidnischer, gottloser Philosophie und Religion geprägt sowie Korinth (18,1ff), einer Stadt voller Sünde und Unmoral.
Das erste Mal auf seinen Reisen (seit Apg 11) ist Paulus allein. Aus den Berichten der Apostelgeschichte wie auch aus seinen Briefen lässt sich erkennen, dass der Apostel sonst niemals freiwillig alleine unterwegs war und arbeitete. Provoziert vom Götzendienst, müde und entmutigt durch Verfolgung sowie voller Furcht (1Kor 2,3) gelangt er nach Korinth. An dieser Stelle ermutigt ihn der Herr selber direkt mit zwei Aspekten: › Keine Angst, ich bin mit dir, rede, denn niemand kann dir schaden! › Ich habe meine Leute hier in großer Zahl, in Korinth wartet eine große Ernte! Jesus begegnet also nicht nur der Entmutigung und Furcht von Paulus, sondern deutet ihm auch eine neue Strategie an: Die Mitarbeiter sind schon da, in der Ernte! Finde sie hier unter den Verlorenen dieser Stadt.
Es erscheint sinnvoll, dass Paulus sich nun auf einen längeren Aufenthalt in Korinth einstellt, anstatt nach wenigen Wochen Missionsarbeit weiterzuziehen. 18 Monate an einem Ort zu arbeiten war etwas Neues für den Mann, dessen gesamte erste Missionsreise weniger als ein Jahr dauerte! Nicht dass Paulus bisher grobe Fehler gemacht hätte, aber hier zeigt sich seine Fähigkeit, zu lernen und neue Wege zu gehen. Er beginnt, in seinem Handwerk als Zeltmacher zu arbeiten, und trifft dabei Aquila und Priszilla, die offenbar zu seinen ersten, engen Mitarbeitern werden. Die Evangelisation kommt weiter in Schwung (Apg 18,4-8), als Silas und Timotheus wieder dabei sind und der Widerstand wächst. Paulus jedoch bleibt „noch viele Tage“ (Apg 18,18) und konzentriert sich darauf, langfristig an einem Ort in die Jünger zu investieren. Es wird also nicht nur einfach eine Gemeinde gegründet, sondern vielmehr ein apostolisches Team aufgebaut, das selber Jünger macht und weitere Gemeinden gründet. Die ersten Schritte der Multiplikation werden sichtbar: Paulus wird zum Leiter, der weitere Leiter hervorbringt und sich genau darauf konzentriert! Etliche solcher Männer werden ausdrücklich erwähnt:
Stephanas (1Kor 1,16; 16,15-18), Sosthenes (Apg 18,17), Krispus (Apg 18,8; 1Kor 1,14), Fortunatus und Achaikus (1Kor 16,17).
Besonders interessant ist es jedoch, einen genaueren Blick auf Aquila und Priszilla sowie Apollos zu werfen. Das Ehepaar geht mit Paulus nach Ephesus, wo sie bleiben und möglicherweise den Boden für seinen eigenen Dienst bereiten sollten (Apg 18,19-21). Hier nun kommt Apollos ins Spiel. Warum erwähnt Lukas ausgerechnet ihn so ausführlich (Apg 18,24-28)? Er ist schließlich kein direkter „Jünger“ von Paulus. Es waren Aquila und Priszilla, die Apollos offenbar genauso weiterhalfen, wie Paulus es mit ihnen selber getan hatte: Sie führten ihn zum Glauben (bzw. erklärten ihm Kreuz und Auferstehung) und verbrachten Zeit mit ihm im häuslichen Rahmen in persönlicher Jüngerschaft. Apollos wurde zu einem der ersten, die Paulus in zweiter Generation geprägt und sich damit vervielfältigt hatte. Lukas stellt ihn uns als eine Frucht der neuen Strategie des Apostels vor Augen. In Apollos´ Dienst in Korinth spiegelt sich daher auch der Dienst des Paulus wider:

Lektionen aus der zweiten Reise

  • Ein Leiter auf der zweiten Reise (seiner zweiten Phase im Dienst) lernt nicht selten, dass seine eigenen Pläne nicht immer Gottes Pläne sind – je schneller er lernt, auf Gott zu hören und zu folgen, desto besser. Eine Strategie in der Gemeindegründung ist schlicht notwendig – aber noch wichtiger ist es, auf Gottes Reden zu hören und seine Wege zu gehen. Es hat etwas Tragisches, wenn Missionare oder Leiter in fortgeschrittenem Alter nach langen Jahren im Dienst immer noch darauf bestehen, ihren Dienst genauso tun zu müssen, wie sie das zu Beginn in ihrer ersten Dienstphase („schon immer“) getan haben. Noch schwieriger wird es, wenn sie jungen Mitarbeitern nicht zugestehen, ihre eigenen Wege in der Abhängigkeit von Gottes Führung zu gehen.
  • Lektionen in dieser Dienstphase beinhalten oft Konflikte, auch mit Mitarbeitern und Mentoren. Solche Konflikte sind m.E. weitgehend unvermeidlich und es liegt ein großer Gewinn darin, die eigene Sicht und/oder Position hierin zu schärfen und einen gesunden, von biblischen Grundsätzen geprägten Umgang mit Konflikten zu lernen. Geht man Konflikten dagegen aus dem Weg (z.B. aus Bequemlichkeit oder „um des lieben Friedens willen“), verpasst man solche Lektionen.
  • Schmerz, Leiden, Einsamkeit und Angst sind in dieser Phase unerlässlich, um die entscheidenden Lektionen zu lernen. Auch hier gilt das oben über Konflikte gesagte, nur, dass wir solchen Erfahrungen kaum ausweichen können. Es gilt, auszuhalten und solche Phasen zu bejahen, um schließlich davon zu profitieren.
Auch die zweite Reise kann nicht übersprungen werden.