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1 Frage: Wie kamst du zu Gemeindegründung?
2 Frage: Gründest du heute noch Gemeinden und wie sieht das praktisch aus?
3 Frage: Wie lebt ihr euren Dienst als Ehepaar?
4. Frage: Warum seid ihr nach England gezogen und wie sieht eure Arbeit hier aus?
5. Frage: Was für Bewegungen gibt es weltweit und was müssen wir im Westen davon lernen?
6. Frage: Was muss sich im Westen / Deutschland verändern, damit wir Bewegungen sehen?
7. Frage: Was können ganz praktische erste Schritte für jemanden sein, der in diese Richtung gehen möchte?
Steve und Michelle Addison leiten MOVE, eine Missionsgesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, weltweit Jünger und Gemeinden zu multiplizieren. Sie leben in Leicester, England. Wolfgang Klöckner interviewte ihn(das Interview erschien in einer Ausgabe von „Brennpunkt“, einer Zeitschrift, die die Deutsche Inland Mission – „DIM“ – regelmäßig veröffentlicht).
1. Frage: Steve, du hast dieses Buch „Bewegungen, die die Welt verändern“ veröffentlicht. Wie bist zu dieser ganzen Thematik gekommen?
Nun, ich war ein Gemeindegründer in den späten 1980er Jahren und durch die Erfahrung unserer ersten Gemeindegründung erlebten wir stark Gottes Ruf hin zu missionarischen Bewegungen in ganz Australien. Dies geschah inmitten von Schwierigkeiten in dieser Gründung und dadurch, dass wir Gott im Gebet suchten. Ab diesem Zeitpunkt fing ich an, alles zu lesen, was ich zu diesem Thema finden konnte. Ich beschäftigte mich mit Beispielen aus der Geschichte und der Bibel. In den folgenden zwanzig Jahren las ich Biografien von Leitern wie John Wesley, über die Entstehung und Ausbreitung der Pfingstbewegung im 20. Jahrhundert, die Herrnhuter sowie alles, was sonst weltweit geschah.
Die Gründung der ersten Gemeinde lief recht gut. Es gab einige Schwierigkeiten, die sich schließlich lösten, aber Gott gebrauchte all dies, um mich zu prägen und aufmerksam zu machen. Als ein junger Gemeindegründer trägt man ja die Frage im Herzen: Werde ich Erfolg damit haben? Die eigene Identität ist stark verknüpft mit dem Ergebnis, das man erzielt. Man geht hin, möchte dem Herrn dienen und Menschen erreichen, aber die Motive sind vermischt – und das trifft wohl auf jeden Gemeindegründer zu. Zu einem bestimmten Zeitpunkt greift Gott ein und möchte unsere Motive läutern.
„Die eigene Identität ist stark verknüpft mit dem Ergebnis, das man erzielt.“
So setzte Gott bei mir seine Vorstellungen von Gemeinde und damit meiner Berufung auf die Tagesordnung. Nach unserer zweiten Gemeindegründung berief Gott uns schließlich in eine andere Arbeit und ich fing an, Gemeindegründer auszubilden und zu coachen, sowie mich in ganz Australien für Gemeindegründung einzusetzen. Das geschah in den frühen 1990er Jahren.
2. Frage: Aber nun machst diese Arbeit nicht mehr. Du gründest keine Gemeinden mehr, oder?
Ja und nein. Wir gründen keine Gemeinden mehr im klassischen Sinn wie etwa bei unserer ersten Gründung. Ich möchte ein wenig zurückgehen.
In den Jahren bis zur Veröffentlichung des Buches „Bewegungen, …“ begriff ich langsam die Grundsätze von Bewegungen, traf mich mit Praktikern und suchte nach Bewegungen, um zu erkennen, was wir davon lernen können. Diese Jahre führten dazu, dass ich das Buch über Bewegungen schrieb. Eigentlich ein kurzes Buch, doch meine Absicht bestand darin, die Prinzipien, die ich erkannt hatte, leicht fassbar zu machen.
Zu der Zeit waren wir immer noch dabei, Gemeindegründer auszubilden und zu coachen. Wir arbeiteten zusammen mit Denominationen und größeren Gemeinden in Australien und Neuseeland, aber auch in Europa. Vor etwa sechs Jahren jedoch kam eine Stunde der Wahrheit. Ich hörte mit all dem auf und fragte mich selbst: Nach zwanzig Jahren ausbilden, coachen, sich einsetzen, entwickeln von Strategien – sehen wir Bewegungen, die sich multiplizieren? Wir hatten eine Reihe Gemeinden gegründet, hatten viel Erfahrungen in Auswahl und Training von Mitarbeitern – doch gab es Bewegungen?
Ich musste ehrlich mit mir selber sein – wir sahen keine solchen Bewegungen. Nicht nur das, auch Bekehrungen und neue Jünger gab es nur in unbedeutenden Zahlen. Die neugegründeten Gemeinden erreichten zwar mehr Menschen fern von Gott als die bestehenden, aber das war weit entfernt von einer Bewegung. Ich war eine Zeit lang ziemlich beunruhigt darüber. Doch als ich aus dieser Zeit herausfand, gab Gott mir eine Einsicht. Durch den Kontakt mit einigen missionarischen Praktikern (besonders Leuten vom IMB) erkannte ich: Ich hatte zwar die richtigen Prinzipien, doch wir schafften es nicht, die Brücke zu bauen von den Prinzipien hinein in den Alltag.
Mein erstes Buch (Bewegungen …) wirft den Blick auf die Fallstudien (Was geschah? Was taten diese Leute?), doch ich ließ den nächsten Schritt aus (Wie kann man anfangen, dies selber zu tun?). Hier klaffte eine Lücke. Ich hatte den Lesern Prinzipien aufgezeigt und es ihnen selber überlassen, diese in der Praxis umzusetzen – und das geschah eben nicht. An diesem Punkt begann eine neue Suche in zwei Bereichen. Zum einen in der Bibel. Ich nahm mir einige Jahre Zeit, die Evangelien und die Apostelgeschichte zu lesen: Was tat Jesus? Was hat er den zwölf Jüngern beigebracht? Womit fuhr der erhöhte Herr fort in der Apostelgeschichte durch seine Leute und Leiter wie Paulus?
Es war also zunächst ein Blick auf den Dienst von Jesus. Eigenartigerweise denkt man, dass der Dienst von Jesus nur in den Evangelien enthalten ist, doch Lukas drückt sich sehr klar am Anfang der Apostelgeschichte aus: Die Apostelgeschichte ist die Fortsetzung des Dienstes von Jesus durch seine Leute mit der Kraft des Heiligen Geistes und seinem mächtigen Wort. Daher ist unser Verständnis lückenhaft, wenn wir nicht die Apostelgeschichte und auch die Briefe in dieses Verständnis mit einbeziehen. Ich habe mich also beträchtliche Zeit mit der Bibel beschäftigt. Dann habe ich mir einige Zeit angesehen, wie erfolgreiche Praktiker in Asien und Afrika andere trainieren und mobilisieren. Im Westen sehen wir – bis auf wenige Ausnahmen – keine Bewegungen, die sich multiplizieren. Es ging mir also um die biblische Praxis und die besten Möglichkeiten, diese heute zu verwirklichen.
Und das Ganze kam zurück zu uns selber: Ein Teil dieses Weges bestand darin, dass Gott Michelle und mich ganz klar als Mitarbeiter vor Ort zurück in die Ernte berief – während wir gleichzeitig weiterhin einen breiteren Einflussbereich hatten. Eines Tages kam Michelle zu mir und sagte: „Steve, du hast hier ein sehr gutes Buch geschrieben, es verkauft sich gut und die Leute schätzen es.“ Ich fühlte mich sehr ermutigt, doch dann sagte sie: „Wann wirst DU etwas davon tun?“ Es wäre leicht gewesen als Ehemann, dies als Kränkung oder Kritik zu verstehen, doch ich nahm es als ein Wort von Gott. Ich verstand, dass Gott durch meine Frau zu mir sprach. Ich weiß, dass es Ehemännern schwerfällt, zu glauben, dass das vorkommt – doch bei mir war es so.
So nahm ich mein Buch und sah mir die Grundsätze an: Ansteckende Beziehungen, Personen des Friedens, und die Erwartung, dass Gott uns führt. Michelle und ich gingen daraufhin nach Box Hill, einen Stadtteil von Melbourne. Gott hatte die Nationen an diesen Ort gebracht: Einwanderer, Studenten aus dem Ausland und Flüchtlinge. Viele kamen aus China, aber auch aus der arabischen Welt, dem Iran, anderen Teilen Asiens und aus Südamerika. Wir fingen mit Gebetsspaziergängen an und sofort am ersten Nachmittag, an dem wir nach Personen des Friedens Ausschau hielten, führte Gott uns geradewegs zu einer Person. Sie wollte den Kontakt zu uns, wollte vom Evangelium hören und brachte uns in Verbindung zu ihrem Beziehungsumfeld. Sie war eine junge Chinesin. Aus dieser Begegnung heraus startete Michelle einen „English conversation Club“ in diesem Viertel.
Menschen aus allen möglichen Hintergründen – Atheisten aus China, Moslems aus dem Iran, Buddhisten aus Taiwan – sie alle hörten und diskutierten die biblischen Geschichten sehr gerne…
Nun, viele Gemeinden haben „English Clubs“, aber ohne Verbindung zum Evangelium oder Jüngerschaft. Sie denken, über diesen Klub wird der ein oder andere den Weg in die Gemeinde finden. Das Ganze ist jedoch wenig zielgerichtet. Dies hier war etwas Anderes. Wir kümmerten uns um die Teilnehmer und viele von ihnen sind unsere Freunde geworden, die wir von Herzen lieben. Wir redeten jedes Mal einfach über ein Thema in der ersten Hälfte des Treffens. Es war nicht so sehr Englischunterricht als vielmehr Gespräch. Viele hatten schon Sprachunterricht gehabt, doch sie brauchten Übung und Sicherheit beim Sprechen. So redeten wir miteinander, hatten gemeinsame Aktivitäten und sie mochten das. Und dann nahmen wir ein vergleichbares Thema in der Bibel und gingen in der zweiten Hälfte zu einem einfachen Entdecker-Bibelstudium über. Wir lesen die Geschichte, erzählen sie mit eigenen Worten nach und stellen Fragen wie „Was lernen wir hier über Gott? Was lernen wir über Menschen?“ und überlegen dann – auch mit Menschen, die noch nicht gläubig sind – wie wir diese Wahrheit in unserem Leben anwenden können. „Wem könntet ihr davon erzählen? Das wäre eine gute Übung für euer Englisch!“
Nachdem wir die Leute nach ihrem Einverständnis gefragt hatten, beteten wir in der Gruppe mit ihnen. Was uns wirklich erstaunte, war Folgendes: Menschen aus allen möglichen Hintergründen – Atheisten aus China, Moslems aus dem Iran, Buddhisten aus Taiwan – sie alle hörten und diskutierten die biblischen Geschichten sehr gerne und sie waren dankbar, wenn wir für sie beteten. Wenn einer mehr Interesse zeigte, dann gingen wir dem nach und lasen weiter mit ihm in der Bibel und erklärten das Evangelium. Sehr bald ging es los, dass sie einzeln und zu zweit zu Jesus fanden. Wir tauften sie und zeigten ihnen durch Entdecker-Bibelstudium, wie sie Jesus nachfolgen können. Seit vielen Jahren hatten wir in unserem persönlichen Dienst so etwas nicht mehr erlebt – obwohl wir Gemeindegründer und Missionsleiter waren. Ich dachte, meine Gabe ist nicht Evangelisation, und doch fing ich an, Menschen zu Jesus und in die Jüngerschaft zu führen. Das war wunderbar!
Wir verloren dabei nie aus dem Blick, dass wir andere trainieren und mobilisieren müssen. So begannen wir und andere von unserem Team bei MOVE (unserer Mission), landesweit Menschen in den grundlegenden Fertigkeiten von Evangelisation und Jüngerschaft zu trainieren. Ebenso, wie man Gruppen und Gemeinden aus diesen ersten Schritten aufbaut. Viele der Teilnehmer fanden Gefallen an dem Training, aber einige durchliefen das Training, fanden es gut und setzten es unmittelbar in die Praxis um. Und wo immer das geschah, sahen wir, dass Menschen Jesus kennenlernen. Wir begannen, echte Durchbrüche zu erleben. Es ist noch keine Bewegung, die sich multipliziert, doch eine wachsendes, miteinander verbundenes Netzwerk von Menschen, die andere trainieren, Evangelisation und Jüngerschaft leben und Gruppen aufbauen. Es ist sehr spannend, das mit zu erleben!
3. Es ist sehr ermutigend, wie ihr das als Ehepaar gemeinsam tut!
Eine Sache, die wir dabei gelernt haben: Michelle macht die Arbeit vor Ort sehr gut, daher leitet sie diese Arbeit und ich bin ein Teammitglied. Mir liegt die landesweite, breitere Arbeit für die Bewegung eher. Unsere Dienstbereiche werden sehr bereichert, wenn ich mich auch auf lokaler Ebene engagiere und sie einen Beitrag auf der breiteren Ebene leistet. So haben wir immer mehr verstanden, dass mein landesweiter Dienst wenig Auswirkung hat, wenn er nicht mit persönlichen Erfahrungen vor Ort verbunden ist. Michelles Dienst vor Ort wird keine überregionalen Auswirkungen haben, wenn wir nicht hinausgehen, Strategien vermitteln sowie Menschen mobilisieren und trainieren.
So ziehen wir einander in den jeweiligen Dienstbereich des anderen, ohne unseren individuellen Beitrag zu schmälern. Ein anderes Beispiel: Es ist meine Stärke, das große Bild und die Vision zu vermitteln und andere zu ermutigen. Michelle ist stark im Coaching einzelner sowie der Supervision von Mitarbeitern. In der Arbeit mit MOVE ist sie der Supervisor, der den Mitarbeitern hilft, in der Spur zu bleiben, und ich leite die Mission als Ganzes. So hat jeder von uns seine Stärken, die sich überlappen.
4. Frage: Steve, du hast viel über Australien erzählt: Trainings im ganzen Land und Arbeit vor Ort. Aber jetzt seid ihr nach England gezogen. Was ist der Grund dafür?
Zwei Jahre vor unserem Umzug hatten wir einen erfahrenen Leiter eingeladen, um uns selber im Blick auf Multiplikationsbewegungen zu trainieren. Wir selber hatten schon viele andere trainiert, doch nun wollten wir unsere Praktiker mit jemand zusammenbringen, der selber weltweit Erfahrungen in Bewegungen gemacht hatte. Unsere Fertigkeiten sollten geschärft und unsere Vision hochgehalten werden. Während dieser Zeit machte Gott mir sehr klar, dass ich die folgenden 18 Monate soviel Menschen wie möglich in Australien trainieren sollte, um dann damit aufzuhören und auf eine neue Lebens- und Dienstphase zu warten. Michelle und ich hatten diesen Eindruck miteinander.
So zog ich los und trainierte Hunderte Menschen; einige von ihnen setzten es um und trainieren auch andere. Zu dieser Zeit kamen wir nach England, weil ich dort für einige Trainings eingeladen war. Ende 2013 im Winter in England wohnten wir in einer kleinen Hütte am Meer. Wir nahmen uns einige Tage Zeit, um die Vormittage im Gebet zu verbringen, und baten Gott um seine Führung für unser Leben. In diesen Tagen hatten wir im Gebet den starken Eindruck, dass Gott uns nach Großbritannien ruft. Wir kehrten nach Australien zurück und besprachen das mit dem Vorstand unsrer Mission, der unsere Berufung schließlich unterstützte.
Es ging ziemlich schnell: Ende Januar 2014 kehrten wir nach Australien zurück und bis zum August hatten wir unser Haus ausgeräumt, unsere Sachen untergestellt oder verkauft und waren nach England umgezogen. Kulturell ist es nicht ein allzu großer Schritt für uns. Wir sind jetzt in den späten Fünfzigern und es ist eher nicht mehr die Zeit, eine völlig unbekannte Sprache zu lernen und in eine neue Kultur hineinzufinden. Es ist eine Sache, jetzt in England zu leben, doch durch meine Bücher und die Besuche hier haben wir jede Menge Kontakte. Wir haben den Eindruck, dass wir uns in den ersten zwei Jahren hauptsächlich auf Großbritannien konzentrieren sollten. Es ist dieselbe Arbeit vor Ort in Zusammenarbeit mit Gemeinden in Leicester, einer Universitätsstadt (ca. 160 km nördlich von London).
Wir arbeiten hier mit einer anglikanischen Gemeinde zusammen und trainieren Menschen, hinauszugehen, das Evangelium weiterzugeben und Jünger zu machen – Menschen, die eine Sicht dafür haben, ihre Stadt zu erreichen. Daneben gehen wir auch in andere Gegenden und Städte Großbritanniens auf der Suche nach Partnern, um sie zu trainieren und zu mobilisieren. Aber nach dieser Zeit werden wir uns (auch wegen der geografischen Nähe) auch die Frage stellen: Was ist mit Europa? Ich sollte noch erwähnen, dass wir in Australien inzwischen einen starken Leiter haben und dass die Bewegung dort Fahrt aufgenommen hat, seit wir verschwunden sind. Ich sage ihnen gerne, dass wir sie viel früher hätten verlassen sollen. Offenbar waren wir der Flaschenhals.
5. Frage: Steve, du bist sehr viel umhergereist. Du hast Bewegungen gesehen, besonders in Asien. Diese ganze Sache mit den „Bewegungen“ läuft nun schon etliche Jahre, viele reden darüber und „Gemeindegründungsbewegungen“ ist zu einem Begriff geworden. Was ist nach deiner Einschätzung wichtig in diesem Stadium – weltweit betrachtet?
Zuerst einmal würde ich sagen, wie ich es in meinem ersten Buch geschrieben habe: Bewegungen sind der Maschinenraum der menschlichen Geschichte sowie sozialer, politischer und religiöser Veränderungen. Bewegungen formen, bestimmen und verändern die menschliche Geschichte – zum Guten wie zum Schlechten.
Gerade habe ich ein Buch von Rodney Stark über die christliche Bewegung in China gelesen. Diese Nation wird eine Umgestaltung erleben. Ich sage nicht, dass jedermann gläubig wird oder die Kommunisten abtreten müssen. Aber Millionen, wenn nicht Hunderte von Millionen werden zu Christus kommen während unserer Lebenszeit.
Bewegungen sind der Maschinenraum der menschlichen Geschichte sowie sozialer, politischer und religiöser Veränderungen.
Dies lässt sich nur mit den Dynamiken von Bewegungen erklären. Und gleich nebenan ein ganz anderes politisches und kulturelles Umfeld – Indien. Nordindien hat dem Evangelium über Jahrhunderte widerstanden; ich schließe Nepal hier mit ein. Inzwischen sehen wir eine unglaubliche Ernte in Nordindien, Nepal und anderen Teilen dieser Region. Das Herz davon ist die Dynamik einer Bewegung des Evangeliums, das Leben verändert.
Gott hat uns als menschliche Wesen erschaffen, und wir sind miteinander verbunden. Wenn er etwas in Gang setzt, können wir also bestimmte Muster erkennen, die wir als Bewegungen beschreiben. Wo immer wir also eine tief greifende Ausbreitung des Evangeliums beobachten, sehen wir diese Bewegungen. Daher haben wir im Westen so viel zu lernen, denn die Durchbrüche in der Mission der Kirche geschehen immer in den Randgebieten der Gesellschaft, nicht dort, wo sich Macht und Wissen befinden.
Wenn er etwas in Gang setzt, können wir also bestimmte Muster erkennen, die wir als Bewegungen beschreiben
Wir hier sind sozusagen zu klug, um zu glauben, dass Gott das Unmögliche tun kann. In der Vergangenheit sehen wir z. B. Patrick, als Irland eine barbarische Insel außerhalb der Zivilisation war. Wenn wir die Patricks heute finden wollen, die heute Geschichte schreiben, müssten wir vielleicht in ein verarmtes zentralasiatisches Land gehen. Irgendwo dort wird jemand sein, der die Grundsätze von Bewegungen umsetzt.
In den besten Bewegungen sind die Leiter wirkliche Diener, die ihr Leben einsetzen, um andere zu fördern; das ist es, was Bewegungen tun. Sie drehen sich nicht um Einzelpersonen, eine große Gemeinde, viel Geld – es sind vielmehr Bewegungen von Menschen. Manchmal taucht die Frage nach dem einen Leiter auf, der all das kontrolliert – nun, es gibt keinen. Es gibt vielleicht Leiter, die in der Bewegung arbeiten und sie vorantreiben, aber sie kontrollieren oder koordinieren sie nicht. Also irgendwie müssen wir im Westen dahin kommen, diese Lektionen, Muster und Prinzipien anzuwenden.
6. Frage: Vielen Dank, Steve. Du zeigst uns mit ein paar Sätzen, worauf wir achten und wonach wir uns ausstrecken sollten. Du bist nun ein paar Tage in Deutschland, hast einige Leute getroffen, Deutsche und Amerikaner, die als Missionare in Deutschland arbeiten. Was ist dein Eindruck?
Nun, ich denke, es gibt Ähnlichkeiten zu meinen Erfahrungen in England und Australien. Man fühlt sich allgemein unwohl und entmutigt. Wir sehen, wie die Kultur zerfällt und die Kirchen auf dem Rückzug sind. Dann sind wir seit etwa einem Jahrzehnt in dieser ganzen Diskussion um Emerging Church, missional, postmodern – und wir sehen noch immer keine bedeutenden Fortschritte im Blick auf Jüngerschaft und Gemeinden, die aus neuen Jüngern bestehen und nicht nur desillusionierte Christen hin und her schieben.
Das Umfeld in den USA mag sich wohl etwas davon unterscheiden, doch Australien und England haben viel gemeinsam mit der Gemeinde hier in Deutschland. Nach wie vor gibt es jede Menge guter Leute, die dranbleiben, doch ich beobachte einen gewissen Verlust von Zuversicht. Und wenn das geschieht, möchte man sich selber ein wenig beruhigen. Man schaut sich an, was Gott in anderen Teilen der Welt oder in der Bibel tut, und man fängt an, sich selber einzureden: Australien ist eben anders, das wird hier nicht passieren. England ist anders, es wird hier nicht passieren. Oder Deutschland ist anders, es wird hier nicht geschehen.
Manchmal lautet eine der Antworten, dass wir einfach die Gemeinde neu erfinden müssen oder ein neues Modell für den Dienst brauchen – und es ist gut, dies zu diskutieren. Aber unser Gemeindemodell oder unsere Dienstphilosophie wird niemand retten – es ist das Evangelium, das Menschen rettet. Unglücklicherweise gibt es nun einen Vertrauensverlust im Blick auf das Evangelium. Doch ich habe immer wieder die Evangelien und die Apostelgeschichte gelesen. Hier sehen wir, wie Gott in mächtiger Weise gegenwärtig ist und sich sein Wort als dynamische Kraft in der Welt erweist. Es breitet sich aus trotz Widerstand und trotz des Versagens und der Schwäche der Gemeinde oder der Boten. Es läuft und bringt Frucht. Daher denke ich, dass wir zu einer tiefen Überzeugung und Zuversicht auf Gott und sein Wort, das Evangelium des Reiches, zurückkommen müssen.
Ich glaube, dass wir im Westen als erstes das Vertrauen auf Gott und seine Gegenwart bei uns durch sein wirkungsvolles Wort wiedererlangen müssen.
Du sagst vielleicht: Nun, wir sehen dieses Wirken eben nicht. Was war aber der Ausgangspunkt der großen Führer in der Bibel? Thomas z. B., der Jesus selber sehen will und dann zu hören bekommt: „Selig sind, die (noch) nicht sehen, und doch glauben!“. Oder David, als er Goliath gegenübersteht: Er wartet nicht darauf, etwas zu sehen, bevor er aktiv wird. Ich glaube, dass wir im Westen als erstes das Vertrauen auf Gott und seine Gegenwart bei uns durch sein wirkungsvolles Wort wiedererlangen müssen.
Übrigens ist das ein Charakteristikum dynamischer Bewegungen: glühender Glaube, Leidenschaft für die Sache. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Leute, die diese Situation nicht einfach akzeptieren und die sagen: Was können wir lernen, wenn wir Bewegungen sehen? Sowohl in der Bibel, im Dienst von Jesus und in der Apostelgeschichte oder auch in anderen Teilen der Welt – was können wir davon lernen und wie können wir das in unserer Situation umsetzen? Sie gehen zurück zum Wesentlichen, den einfachen, aber grundlegenden Vorgehensweisen und wenden die Grundsätze im täglichen Leben an.
Nach meiner ganzen Lektüre, verschiedenen Erkenntnissen und zwanzig Jahren Forschung habe ich gelernt: Es ist einfach gut, sich mit Menschen hinzusetzen, gemeinsam die Bibel zu lesen und zu lernen, das zu tun, was sie sagt. Das ist nichts anderes als die Methode des „Entdecker Bibelstudiums. Es ist so einfach und so leicht übertragbar, dass jeder ein Jünger und ein Jüngermacher werden kann. Menschen versammeln sich um Gottes lebendiges Wort und es wird sie verwandeln.
Ich habe gelernt, dass Gottes Wort Leben verändern kann und dass gewöhnliche Menschen in der Lage sind, zu lernen, ihre Geschichte mit Gott anderen zu erzählen, das Evangelium zu erklären und mit anderen in der Bibel zu lesen. Ich habe gelernt, dass Gebet Leben verändert. Wir können hinausgehen, Freunde, Familienangehörige oder sogar Fremde auf der Straße treffen und wir können ihnen anbieten, mit ihnen für ihre Probleme zu beten oder Gott zu bitten, ein Wunder in ihrem Leben zu tun. Gott wird ihnen dort begegnen und ihr Herz wird weich werden, wenn wir solche Begegnungen mit Menschen haben. Gott ist da!
Und dann können wir anfangen, ihnen Geschichten aus der Bibel oder unsere Glaubensgeschichte zu erzählen und wir können sie einladen auf eine Entdeckungsreise, wie man Jesus kennenlernt und ihm nachfolgt. Bis jetzt sehen wir im Westen keine Multiplikationsbewegungen – in Europa und Australien. Doch ich glaube, der Ausgangspunkt liegt in der Rückkehr zu den einfachen Schritten: im Gehorsam gegen Gottes Wort dem Beispiel von Jesus zu folgen und anzufangen, die richtigen Dinge mit Menschen zu tun.
Wir sollten erwarten, dass dann sehr bald Menschen zu Jesus kommen und seine Jünger werden. Und dann müssen wir damit ringen, wie wir Gruppen zusammenbringen und Gemeinden aufbauen. Wie helfen wir Gemeinden, sich zu vervielfältigen? All diese Punkte. Statt jedoch sofort zu den großen Fragen nach Strategien zu springen, gehen wir doch erst einmal zuversichtlich hinaus und finden jemand, der Jesus braucht und dienen ihm. Erstaunlich ist, dass sich in den letzten fünf bis sechs Jahren die ersten Zeichen von Multiplikationsbewegungen in den USA an verschiedenen Orten zeigen, nicht nur bei Amerikanern, sondern auch bei Einwanderern und allen möglichen Gesellschaftsgruppen im ganzen Land. Das geschieht zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte.
In Europa und Deutschland wird man einen eigenen Weg finden, aber der Startpunkt muss in den einfachen, grundlegenden Schritten bestehen, die Gott bestätigt. So kann zwar keine Bewegung Gottes herbeigezwungen werden, wir können jedoch das tun, was er von uns verlangt und mit ihm zusammenarbeiten. Aber es sind sein Wort und der Heilige Geist, die Frucht und Multiplikation bewirken.
Es geht darum, die Segel zu setzen und den Wind zu erwarten.
Ja, genau. Sogar allen sozialen Trends, dem Niedergang der Kirchen und dem Zynismus der Kultur zum Trotz. Auch dem Unglauben in vielen unserer theologischen Fakultäten sowie bei Pfarrern, Priestern und Pastoren zum Trotz. Wir gehen zurück zu der einfachen, lebensverändernden Botschaft von Jesus. Die eine Quelle der Erlösung, Vergebung der Sünden, sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung, das Kommen des Heiligen Geistes – diese einfachen Wahrheiten. Wir haben es nötig, sie auszuleben, und wir müssen andere mit hineinnehmen in das Leben Christi, damit sie es selber erfahren. Und sie dann sogleich mobilisieren, ihre Welt zu erreichen.
7. Frage: Vielen Dank. Du hilfst uns wirklich, unsere Füße auf den Boden zu bekommen, um loszugehen. Wenn jemand das hier nun liest und sich engagieren will, was sollte er oder sie tun?
Das Erste wäre, herauszufinden, wo es ein gutes Training gibt. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Training. Ihr in der DIM könnt das anbieten. Wichtig ist es dann, das Gelernte sofort in der Ernte anzuwenden. Man sollte auch in Verbindung mit anderen Praktikern bleiben, um miteinander zu lernen und einander zu ermutigen. Das wäre meine Empfehlung: Geh einfach los, mach ein Training, tauche ein in die Ernte, sieh zu, dass du andere mitbringst und trainierst. Und dann bleibe in Kontakt mit anderen, während du das tust. Ansonsten wirst du aus der Spur geraten oder den Mut verlieren. Also bleibt zusammen, um euch zu ermutigen und voneinander zu lernen!